Centerfolds
Stefanie Seibold
Centerfolds
Stefanie Seibold
Wie Zeichnungen stehen drei Skulpturen aus Stahl im Raum. Sie teilen die zentrale Halle des Kunstpavillons, dynamisieren sie durch ihre gebogene Form, geben den Besucher_innen Wegrichtungen vor, bilden neue Räume und sind gleichzeitig durchlässig.
In der Collage Die Architektin (Lilly Reich), die rechter Hand im Eingangsbereich hängt, findet sich die geschwungene Form der nach dem Song Joy in Repetition von Prince benannten Vorbilder für diese Stahlobjekte wieder: mit Seidenstoffen bestückt bildeten sie einst ein Display für eine Industrie-Messe in den 1920er Jahren in Berlin. Lilly Reich, eine Zeitgenossin (und Mitarbeiterin bzw. zeitweise Lebensgefährtin) des berühmten Architekten Ludwig Mies van der Rohe, die oft auch unerwähnt für diesen arbeitete, ist die Urheberin des smarten Settings, in dem sich unter anderem die für das Bauhaus typischen Stahlrohrmöbel und Freischwingersessel befinden. Anzunehmen, dass die Frau mit Hut auf einer integrierten Schwarz-Weiß-Fotografie die Architektin ist. Aber auch die Frau im zeitgenössischen Look im rechten Bildrand, es handelt sich um die Künstlerin Maruša Sagadin, hat Architektur studiert. Was haben der exaltierte, 2016 verstorbene US-Popstar und die Formensprache der 1920er Jahre, andere Paravent-artige Architekturen, eine historisch unterrepräsentierte Architektin und Designerin sowie eine Künstler_innenkollegin miteinander zu tun?
Über lange Zeiträume sammelt Stefanie Seibold für ihre Recherchen Materialien, die – wie die Künstlerin es selbst formuliert – darauf warten in Collagen, Installationen oder Performances verdichtet zu werden. Im linken Seitenflügel sind weitere zwischen 2013 und 2018 entstandene Collagen präsentiert, die diese Herangehensweise verdeutlichen und Genealogien von Frauen in der Kunstgeschichte vorstellen. Seibold präsentiert ihre Ahnengalerie bzw. Wahlfamilie und reiht sich eine Clownsperücke tragend in o.T. (Selbstbildnis mit Masken) in die Serie ein, die von einer jungen, in ihrer Melancholie an die Absinth-Trinkerin von Degas erinnernden Künstlerin bis hin zu der in der Literaturwissenschaft laut Seibold lange Zeit in ihrer Bedeutung unterschätzten Virginia Woolf und der Venus von Willendorf reicht.
Anders als die reduzierte Formensprache der Joy in Repetition-Skulpturen, sind die Collagen prall gefüllt, sinnlich und voll mit erotischen Anspielungen. Höfische Barockmalerei, die eine Dame zeigt, die, ein Kätzchen zu Füßen, die Röcke schürzt, um sich das Strumpfband zu binden, trifft auf die Darsteller des japanischen Kabuki-Theaters, in dem alle Rollen ausschließlich von Männern gespielt werden, oder auf eine mundgeblasene, venezianische Glaslampe, die frappierend einer üppigen, weiblichen Brust ähnelt. Die assoziativ wirkenden, aber von Stefanie Seibold sorgfältig arrangierten Collagen verhandeln queer-feministische Themen, aber auch Fragen des Raums. So sind die Blätter o.T. (Selbstbildnis mit Masken) und o.T. (Die Absinth-Trinkerin) auch Teil der Recherche über Paravents, die einhergeht mit Fragen des Zeigens und Verbergens, und es finden sich auf beiden auch weitere Faltbeispiele, wie aus einem zweidimensionalen Material durch wenige Schnitte ein frei stehendes dreidimensionales Objekt geschaffen werden kann. Hinter dem gelben Paravent-Modell auf dem Selbstbildnis der Künstlerin als Clown tritt eine androgyne Frau mit Kurzhaarschnitt und schlichtem, schwarzen Rollkragenpullover hervor. Es ist die deutsche, erst nach ihrem Tod vermehrt rezipierte Minimal-Künstlerin Charlotte Posenenske, die ihre Objekte stets aus alltäglichen, oft in der industriellen Fertigung benutzten Materialien entwickelte. Eine weitere „Vormutter“. Aus dem Fundus der Kunstgeschichte schöpfend und mit großer Kennerinnenschaft stellt Stefanie Seibold vermeintlich einfache Fragen, wie „Wie ist der Raum ins Bild gekommen?“ und stellt das Verhältnis von Raum, Repräsentation und Person zur Diskussion.
Für die in Form von vier Fotografien präsentierte Serie Centerfolds, die der gesamten Ausstellung ihren Titel leiht, hat Seibold Objekte im Minimal-Look geschaffen, die auf den ersten Blick wie Preziosen wirken, deren ursprüngliche Form in Wirklichkeit aber aus Pappe und Glanzfolie gefaltet wurden. Eine Vorläuferserie der Eckobjekte trug bezeichnender Weise den Titel „Because Diamonds Are A Girl‘s Best Friend“. Zwei dreidimensionale Eckobjekte in Neonfarben – die Künstlerin spricht hier auch von Bonbons – stellen im vorderen und im hinteren Raum platziert eine Verbindung zwischen den Werkgruppen her und fallen zugleich wegen ihrer Signalfarben und Positionierung aus dem Rahmen. Der Titel der Ausstellung Centerfolds gibt sich ebenso ambivalent. Er könnte auf die gefalteten Objekte Bezug nehmen. Schlägt man im Wörterbuch nach, ist die sexuelle Konnotation deutlich: „Centerfold“ bedeutet „Aktfotografie einer Person, die auf dem Ausfalter in der Mitte einer Zeitschrift erscheint.“
Clever Gretel
Eingebunden in das Setting aus neueren und neuesten skulpturalen Arbeiten und Collagen befindet sich im hinteren Raum des Kunstpavillons eine Bühne für Stefanie Seibolds 1999 uraufgeführte und im Rahmen der Personale re-enacteten Performance Clever Gretel. Die ursprüngliche Performance wird als Video gezeigt und nach den Aufführungen am 14. und 15. September kommt die Dokumentation der Wiederaufnahme hinzu.
Clever Gretel basiert auf dem Schwank Das kluge Gretel der Gebrüder Grimm, der weniger Märchen, sondern mehr Burlesque ist. Gretel ist eine trinkfreudige Köchin, die in fröhlicher Unmoral ihren Herrn und dessen Gast gegeneinander ausspielt. Für Stefanie Seibold stellt diese frühe Arbeit ein Leitmotiv ihrer künstlerischen Produktion dar, das die heterogenen Ausdrucksformen bereits damals vereinte und eine Collage an gesammelten und gesampelten Gesten und Texten aus Wissenschaft, Pop- und Hochkultur ist. Die Tanzpionierin Martha Graham wird ebenso zitiert, wie die Genderforscherin Donna Haraway, die Boxerin Leila Ali und Nachrufe aus der New York Times sowie die Künstlerin Mariko Mori oder der Schriftsteller und Künstler Kodwo Eshun. Papiertragtaschen aus dem Freud-Museum markieren die Positionen, an denen Freuds Abhandlungen über Witz, das Unbewusste, Sexualtherapie und Hysterie thematisiert werden. Das Subjekt „Clever Gretel“ wird von drei Performer_innen gleichzeitig verkörpert und Regeln und Reglementierungen, die sich in den Körper einschreiben, werden subversiv hinterfragt und sabotiert. Der Performance liegt die „grundsätzliche Frage nach der Position und der Beteiligung von ‚Frauen‘ in der Kunstgeschichte und in der Welt“ (Seibold) zugrunde und auch Zuschreibungen von Geschlecht stehen zur Debatte. Ob in einer Szene beispielsweise die Darsteller_innen feminine Greteln geben oder Heavy-Metal-Wikinger-Dudes, bleibt bewusst in der Schwebe. Stefanie Seibold formuliert: „Die Situationen in denen sich die drei Performer_innen befinden, scheinen oft auf den ersten Blick keinen Sinn zu ergeben, sind aber bei genauerer Betrachtung ein Ablauf von Situationen, die höchst präzise analysieren, wie und wodurch Personen als weibliche Subjekte erst konstituiert werden bzw. normierend hervorgebracht werden sollen.“ Darauf, wie diese queer-feministischen Widerstandsmomente, die dieser Subjektivierung entgegenwirken, fast 20 Jahre nach der Uraufführung gelesen und interpretiert werden, dürfen sowohl die Künstlerin, als auch die Performer_innen und das Publikum gespannt sein.
Die Unterschiede und Kontinuitäten in ihrer langjährigen Beschäftigung mit Raum, Objekt und Körper zu beleuchten, ist für Stefanie Seibold die zentrale Fragestellung von Centerfolds. Dass sie dieser mit ebenso viel Energie, Humor und Lust nachgeht wie mit Akribie, ist ein weiteres Merkmal ihrer Arbeit. Clever Gretel!
Ingeborg Erhart
Die Performance Clever Gretel wird am Freitag, 14. September 2018 und am Samstag, 15. September 2018 jeweils um 19.00 im Kunstpavillon gezeigt.
Dauer: ca. 50 min.
I am sure there must have been a time in the course of human events when softness and delicacy were prized; I assume that’s when pudding flourished. In my life-time, firmness of body and toughness of mind are the qualities most eagerly sought after, leaving pudding
to be consumed as a secret and embarassing pleasure.
(Aus: Baby Food by Molly O’Neill, March 17, 1996, New York Times)
Die ursprüngliche Performance entstand in Zusammenarbeit mit Margit Brünner, Andreas Karner und Liese Lyon. Die Rekonstruktion der Live-Arbeit im Jahr 2018, koproduziert mit Yvonne Lambert (Berlin), erfolgt in Kollaboration mit den Künstler_innen Charlotte Gash, Mette Riise Kristensen, Gašper Kunšič und Nora Kurzweil.
Premierentage 2018 am Samstag, 10. November 2018:
Finissage von 11.00 – 18.00
Denzer – Dlobies Artist-Artist Talk in der Neuen Galerie um 15.00
Seibold – Rezned Artist-Artist Talk im Kunstpavillon um 16.00
*Clever Gretel und das Ausstellungsprojekt wurden großzügig von Doris Einwallner, Gerhard Egger, Alexia Stuefer und Otto Wulz unterstützt.