Die Gegenwart in Rückspiegeln betrachten

Eva Egermann, Stefan Hayn, Kerstin Schroedinger, Vladislav Shapovalov

Einladungskarte der Ausstellung DIE GEGENWART IN RÜCKSPIEGELN BETRACHTEN / Eva EGERMANN · Stefan HAYN · Kerstin SCHROEDINGER · Vladislav SHAPOVALOV / Kunstpavillon Innsbruck 19. Mai - 29. Juli 2017

Die Ausstellung Die Gegenwart in Rückspiegeln betrachten ist die Abschlußausstellung des Fellowship-Programms für Kunst und Theorie 2016/17 im Künstlerhaus Büchsenhausen. Sie ist das Ergebnis der Auseinandersetzung mit den Arbeitsvorhaben und den Arbeitsweisen der Fellows Eva Egermann, Stefan Hayn, Kerstin Schroedinger und Vladislav Shapovalov. Ihre künstlerischen Ansätze, Untersuchungsgebiete und Themen bildeten den Ausgangspunkt des Ausstellungskonzepts.

Die Ausstellung Die Gegenwart in Rückspiegeln betrachten beschäftigt sich mit Fragen des Zustands unserer Gegenwart unter aktiver Einbeziehung geschichtlicher Erzählstränge, deren Bedeutungen zwar aus dem allgemeinen Bewusstsein verschwunden beziehungsweise verdrängt worden sind, die für das Verständnis der Gegenwart jedoch konstitutiv sein könnten. Fünfzig Jahre nach der Erstveröffentlichung eines vielzitierten Aphorismus‘ Marshall McLuhans in The Medium is the Massage – „Wir betrachten die Gegenwart im Rückspiegel. Wir marschieren rückwärts in die Zukunft“ – gilt es auch, diese Behauptung auf ihre heutige Gültigkeit hin zu befragen. In dieser Hinsicht geht es in der Ausstellung auch um denjenigen Wahrnehmungsmoment, in dem Gegenwart und Vergangenheit als ununterscheidbar erscheinen, und nicht zuletzt um die Frage, welche zeitliche Ausdehnung ein solcher Moment verträgt.

Zum besseren Verständnis stelle man sich folgende Szene vor: Man sitzt am Steuer eines Autos, wenige Augenblicke nachdem man einer brenzligen Verkehrssituation knapp entkommen ist. Der Blick in die vorhandenen Rückspiegel – üblicherweise sind es drei, einer innen und zwei außen, aber die Zahl spielt in unserem Fall nur im Sinne einer Mehrzahl eine Rolle – zeigt zwar das Folgebild desselben Ereignisses, das zeitlich nun einige Sekunden zurückliegt, jedoch in einem jeweils anderen Ausschnitt. Die Perspektive ist immer ein wenig verändert, und auch wenn man das Gesamtbild zu erahnen vermag, so wird man aus diesen Bildern doch nie ein präzises Gesamtbild rekonstruieren können. Und trotzdem ist das, was man als unmittelbar Vergangenes wahrnimmt, Teil der eigenen Gegenwart: Man ist, so der Eindruck, einer potenziellen Karambolage knapp entkommen. Und nun gilt es zu verstehen, zu verarbeiten, was da geschah beziehungsweise gerade geschieht.

Die multiperspektivische Beobachtung bedeutet nun eine Erweiterung bzw. Relativierung der unilateralen Sicht auf die „jüngste Vergangenheit“, die McLuhan in seinem Text von 1967 formuliert hatte, als er den Menschen einen quasi ontologischen Konservativismus attestierte, auf den sie sich immer zurückbesinnen würden, sobald sie mit „völlig neuen“ (technologischen) Situationen konfrontiert wären. In der gegenwärtigen Gesellschaft, die ja generell von einem Neokonservativismus beherrscht zu sein scheint, entpuppt sich jedoch die multiperspektivische Sicht, auch auf die unmittelbare Vergangenheit, möge sie, wie auch immer, obsolet oder auch wieder nicht, erscheinen, als potenzieller Ausweg aus Erstarrung. Diese Ausstellung kann als diesbezüglicher Beitrag gelesen werden.

Der inneren Widersprüchlichkeit, dem Paradoxen dieser Vorgänge begegnet man gleich am Eingang der Ausstellung: Die Gegenwart wird hier zunächst nicht visuell, sondern auditiv betrachtet. Kerstin Schroedinger hat zwei neue Arbeiten installiert, die zwei unterschiedliche Aspekte ihrer langfristigen künstlerischen Recherche über die materiellen und historischen Bedingungen des Analogfilms, eines aus technologischer Fortschrittsperspektive als „obsolet“ betrachteten Mediums, hervorheben. Eine Arbeit hat ihren Ursprung in der Auseinandersetzung der Künstlerin mit der historischen Verbindung zwischen analogen Belichtungsverfahren und der Pharmaindustrie. Die andere beschäftigt sich mit dem Do-It-Yourself-Ansatz und dessen Wurzel in der aktivistischen AIDS-Bewegung der späten 1980er und frühen 1990er Jahre, als AIDS-Kranke in experimentellen Selbsthilfe-Verfahren unter anderem Substanzen zur Farbfilmentwicklung zwecks Symptomlinderung anwendeten.

Der erste Aspekt wird in der Arbeit Cyanobiography (Bläue) aufgegriffen. Die Cyanotypie ist ein fotografisches Belichtungsverfahren auf Grundlage des synthetischen Farbstoffs Berliner Blau, dessen chemische Zusammensetzung auch in der (Schweizer) Pharma-Industrie eine Rolle spielte. Schroedinger hat für diese Audioarbeit 16mm-Filmstreifen, deren Länge der Körpergröße der Künstlerin entspricht, im Cyanotypie-Verfahren belichtet und deren Tonspur optisch abgetastet. Diese Lichtton-Loops wurden anschließend von der Musikerin Wibke Tiarks elektronisch bearbeitet und durch einen Raster unterschiedlicher Frequenzen gefiltert. Die daraus entstandenen Loops ergeben einen rund acht Minuten langen Audio-Track, der die ursprünglich visuellen Filmspuren in eine minimalistisch-akustische Komposition übersetzt.

Der Do-It-Yourself-Aspekt wird in einem zweiten, Podcast-artigen Audiostück konkretisiert. Unter dem Titel defiance recipes (kurkuma) hat Schroedinger eine Playlist unterschiedlicher Quellen und Tonbearbeitungen als „Trotz-Rezepte“ zusammengesetzt. Die Playlist setzt die Farbe Gelb als formale Klammer ein, um historische wie gegenwärtige Manifestationen der Selbstermächtigung zwischen dem historischen AIDS-Aktivismus und der heutigen Emanzipation der Filmemacher_innen von der Abhängigkeit von technischen Entwicklungen und filmindustriellen Trends in Richtung eigener Lösungen der Analogfilmentwicklung zu adressieren. Dabei verweist Schroedinger unter anderem auf die „Film Farms“ in Nordamerika, wo Filmemacher_innen seit einigen Jahren daran arbeiten, aus selbstangebautem Bio-Gemüse Substanzen zu extrahieren, die zur Entwicklung von Farbfilm eingesetzt werden können. „Mich interessiert hier auch der historische ‘Loop’, oder eine Art Backlash, sich vermeintlich ‘zurück zur Natur’ zu begeben, als eine Art Umschreibungsprozess, der historische Verweise öffnet, die es ja so nie gegeben hat“, schreibt die Künstlerin.

Anhören auf mixcloud: krstn schrdngr defiance recipes (kurkuma)

Die Verbindung zwischen der Bläue und dem Kurkuma-Gelb wird in der Ausstellung durch den transparenten Farbverlauf hergestellt, der fast die gesamte Fläche der Decke einnimmt und einen scheinbar nahtlosen Übergang der zwei Bereiche ineinander ermöglicht. Diese transluzide Membran erinnert uns daran, dass Grenzen an sich permeabel bleiben, dass Substanzen sich oft zwar nur in kleinen Details voneinander unterscheiden, diese Unterschiede auf der Molekularverbindungsebene aber manchmal unvorhersehbare gesellschaftliche Narrationen generieren können.

Eine andere Narration entwirft Stefan Hayn in seinem zeichnerisch-malerisch-filmischen Installationskomplex Nicht die bessere Mutter, der Arbeiten aus knapp dreißig Jahren vereint. Hayn geht es in dieser Konfiguration um eine Hinterfragung vorherrschender Denk- und Vorstellungsmuster des Mutter-Vater-Kind-Verhältnisses beziehungsweise der Verhältnisse zwischen Generationen und Geschlechtern, die heute einem zunehmenden Antagonismus-Paradigma zu unterliegen scheinen. Dabei verfolgt Hayn in seinem künstlerischen Diskurs auch eine Dekonstruktion der im Kunstkontext verbreiteten „antiödipalen“ Position ein (im Sinne von Deleuze und Guattari), indem er die durch die Sozialisation aufoktroyierten Rollenbilder auf einer ästhetischen Ebene aufzubrechen versucht. Für die Ausstellungsbesucher_innen erfolgt der Einstieg über die zarte, flüchtige Zeichnung kindlicher Gesichter, in einem Zeichenheft, das teilweise einen Spiegel bedeckt und zusammen mit diesem in einer Vitrine aufbewahrt wird. Was zunächst als eine pretiöse Hervorhebung des Unberührbaren aufgefasst werden könnte, erweist sich in Folge als fragiles Fragezeichen hinsichtlich der eigenen Einstellung zum Kind-Sein: Was sehe ich, wenn ich mich in dem Spiegel ansehe und gleichzeitig die flüchtigen Kindergesichter betrachte?

In den zwei Filmen, die auf dem Monitor auf der linken Seite laufen, wird hingegen abrupt das Repertoire gewechselt. In Dreizehn Regeln oder Die Schwierigkeit sich auszudrücken (1998), so Hayn, „trifft Copis Feydeau/Tschechow-Parodie L’homosexuel ou La difficulté de s’exprimer (1971) auf Ad Reinhardts Künstleridentitäts-Demontage The Artist in Search of A Code of Ethics (1960 angesichts der Labels ‚Abstrakter Expressionismus‘ und ‚Pop Art‘ veröffentlicht) – man könnte sagen, dass in dieser Konfrontation die ‚antiödipalen‘ Maßgaben des ‚modernen‘ und ‚postmodernen‘ Bildermachens explodieren – oder implodieren – vor dem Hintergrund der darunter liegenden, oft gewalttätig zugespitzten Mutter-Vater-Kind-Verhältnisse – und umgekehrt.“ Gespräche mit Schülern und Lehrern (2000), so der Titel des zweiten Films, thematisiert hingegen rund zehn Jahre nach der „deutschen Wende“ aus multiplen Generationenperspektiven den damals neuen institutionellen sowie zeithistorischen Rahmen wie auch die jeweils individuellen Versuche, „mit den ‚antiödipalen‘ Ex- und Implosionen umzugehen“.
Potenziell explosiv erscheint auch die Botschaft, die auf den zwei Aquarellen zu lesen ist, die ein „Brot-für-die-Welt“-Werbeplakat in zwei unterschiedlichen Ansichten malerisch festhalten: „Zwei von ihnen werden sich prostituieren – Gebt den Kindern eine Chance“ sind „Einstellungen“ aus Hayns „Dokumentarfilm“ Malerei heute, in dem er zwischen 1998 und 2005 die wirtschaftlichen, politischen und zwischenmenschlichen Veränderungen quasi protokollierte, die sich im öffentlichen Raum, insbesondere auf öffentlichen Werbetafeln, manifestierten. Die doppelbödige, scheinbar eindringlich-moralisierende Botschaft auf den Plakaten droht angesichts der in nächster Nähe platzierten Rehkopfsplastiken, die der Künstler auf einem Flohmarkt erworben und unverändert in die Installation integriert hat, jedoch permanent zu kippen – und kippt tatsächlich immer wieder für einen kurzen Moment, der zwischen Berührung, Kitsch und Betroffenheit oszilliert. Diese provozierte Empfindsamkeit prallt erneut auf die als gegensätzlich erscheinende, gestisch-expressive Abstraktion, die Hayn malerisch auf einen Spiegel und zwei kleine Leinwände übertragen hat. Erneut werden auch hier stereotype Rollenbilder und Positionen in Frage gestellt und eine changierende Grenze formuliert: Gestisch-expressive, abstrakte Malerei, ihr Status als „genuin“ männliche Ausdrucksweise, wird auf uneindeutige Weise affirmiert (durch die Umsetzung) und zugleich auch hinterfragt (durch den Spiegel und den erst nach längerem Betrachten sichtbar werdenden Portraits, die als Kindergesichter zu erahnen sind). Den spielerischen Abschluss der Installation bildet die Projektion des Durchblätterns durch ein Zeichenheft – ähnlich demjenigen in der Vitirine – auf die gebastelten Pferde, die Schulkinder im Zuge einer von Hayn initiierten und moderierten Inszenierung von Otfried Preußlers Bei uns in Schilda hergestellt und benutzt hatten. Hier zeigt sich einmal mehr, dass es Hayn um die Formulierung einer ästhetischen Sicht geht, die aufgelöste Grenzen im Verhältnis der Generationen und der Geschlechter auf der symbolischen Ebene verschiebt, um sie in der individuellen Betrachter_innen-Situation erneut emotional wahrnehmbar zu machen.

Um die Auflösung und Hinterfragung von Grenzen geht es auch in Eva Egermanns Projekt des Crip Magazine. Das Crip Magazine ist ein selbstpubliziertes Magazin und eine Sammlung von Materialien zu Crip-Themen, Kunst- und Kulturproduktion und Repräsentationen im Widerspruch zu Norm/Abnorm-Verhältnissen. Es umfasst Beiträge von Künstler_innen und Autor_innen über die Krüppelbewegung, Outcast-Nights oder Behinderung in subkulturellen, linken und queeren Kontexten; experimentelle Bilder und Texte wie den extraterrestrischen Songtext, exzentrische Sprechstücke, die „Cosmic Creatures“ oder unheimliche Bilder zu „Feeling Bad“.

Die Konzeption und Herstellung der zweiten Ausgabe des Crip Magazine bildete den Mittelpunkt für Egermanns Arbeit im Künstlerhaus Büchsenhausen. Die Ausgabe, so Egermann im Editorial, beschäftigt sich mit Crip-Popkultur, Kunst und radikalen sozialen Bewegungen, hat Schmerz zum Thema und eröffnet eine transformative Perspektive auf Body-Issues und körperliche soziale Beziehungen. Egermann hat darin eine beeindruckende Sammlung von Crip-Materialien von mehr als 25 Autor_innen und Gestalter_innen in unterschiedlichsten Formen zusammengetragen: visuelle Beiträge treffen auf Gedichte, literarische Interventionen wechseln sich mit Interviews mit Wissenschaftler_innen und Crip-Akteur_innen sowie mit Überarbeitungen historischer Artefakten und grafischen Materialien, wie etwa die Umschläge und ersten Seiten der Zeitschriften „Der Krüppel“, „Neues aus Krankheit“, „Krüppelzeitung“ und „Hoboreview“ ab.

In der Ausstellung kann das Magazin direkt von der Transportpalette entnommen werden, eine Auswahl der darin vorzufindenden Beiträge hat Egermann als Plakatwand im Ausstellungsraum installiert.

Vladislav Shapovalov zeigt mit I Left My Heart in Rhodesia eine protofilmische Installation, in der er seine langfristige künstlerische Untersuchung spezifischer Funktionen des Bildes im System politischer Kultur fortsetzt. Dabei geht es um bestimmte historische Aspekte der Konstruktion des Politisch-Imaginären durch Ausstellungsstrategien und das Medium der Fotografie im 20. Jahrhundert. Die Investigation basiert auf den Materialien eines Archivs mit Sitz in Mailand, das Fotografien und Filme bewahrt, die von der 1925 in der UdSSR gegründeten „Allunionsgesellschaft für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland“ an die Länder im Westen Europas geschickt wurden, aber auch nach Afrika, Latein-Amerika und Asien. Das Ziel dieser Intervention des „Sowjetischen Ausstellungskomplexes“ bestand darin, die sozialistische Moderne zu repräsentieren und ein positives und kontrolliertes Bild der UdSSR und des Lebens in der Sowjetunion während des Kalten Krieges zu vermitteln.

Shapovalovs Interesse gilt vor allem den kulturellen und visuellen Mechanismen hinter der Formulierung politischer Imaginationen, die in unterschiedlichen Gesellschaften und in diversen geschichtlichen Perioden jeweils immanent waren, in den Formaten Ausstellung und Fotografie. Auch wenn das Projekt sich mit historischen Grundlagen auseinandersetzt, geht es dabei jedoch weniger darum, auszuloten, wie die Dinge tatsächlich waren als darum, wie sie im Rückblick erscheinen. Das Projekt will die Vergangenheit neu entdecken und vor dem Vergessen bewahren, allerdings nicht aus nostalgischen Gründen. Vielmehr sollen Perforationen in die im Westen etablierte Interpretation des 20. Jahrhunderts vorgenommen werden, um dadurch neue Perspektiven zu eröffnen, die einerseits eine kritische Neuaneignung dieses Erbes, andererseits aber auch Reflexionen über das derzeitige Zusammenspiel zwischen Bildern, Politik und Gesellschaft ermöglichen.

I Left My Heart in Rhodesia besteht aus einem gerahmten Print, einer Diaschau und einer Tonspur. Der Print zeigt die vergrößerte Reproduktion eines Briefs der „Fotografischen Gesellschaft Nordrhodesien“ (eines als britisches Protektorat administrierten Landes in Zentralafrika, das 1964 als Sambia in die Unabhängigkeit entlassen wurde) an die „Fotografische Sektion der Union Sowjetischer Gesellschaften für Frieden und kulturelle Beziehungen mit dem Ausland“. Darin werden die sowjetischen Vertreter_innen um eine Zusammenstellung aktueller sowjetischer Fotografie auf Diapositiven sowie um ein Audiokommentar gebeten, die der „nordrhodesischen Öffentlichkeit“ gezeigt werden sollten. Shapovalov hat diesen Brief im Staatsarchiv der Russischen Föderation entdeckt – bar jeglichen Hinweises, ob diese Ausstellung jemals auch tatsächlich stattgefunden hat. Nun hat der Künstler eine hypothetische „Rekonstruktion“ dieser Ausstellung inszeniert. Die Bilder, die in dem Diakarussell im Loop laufen, stammen aus Ausstellungen, die die UdSSR an westeuropäische Länder im Laufe der langen Jahrzehnte des Kalten Kriegs geschickt hat. Die Bilder offenbaren eine auffällige Diskrepanz zwischen dem Internationalismus, den die Sowjetunion durch die Herstellung enger Netzwerke mit anderen sozialistischen Ländern und ehemaligen Kolonialländern der sogenannten „Dritten Welt“ in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anstrebte, und den in den Bildern tatsächlich angewandten Strategien der Repräsentation des Lebens der Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Diese anonymen Fotografien, so Shapovalov, vermitteln die Verschränkung zweier unterschiedlicher Haltungen der Sowjetunion, der kolonialistischen und der modernisierenden Tendenz, die schließlich in der didaktischen Verquickung von Vision und Ideologie evident werden.

Die Audiospur schließlich basiert auf den Song „I Left My Heart In Rhodesia” der südafrikanischen Sängerin Dixie Kwankwa (Miss South Africa von 1957). Nur wenige Jahre vor der Unabhängigkeit Nordrhodesiens aufgenommen, ist das Lied ein popkulturelles Zeugnis kolonialistischer Kulturhegemonie. Die abstrakte Audiocollage, die den Song gewissermaßen „einrahmt“, versucht den Sound der Vergangenheit zu evozieren, die Erinnerung an eine Ausstellung, die vermutlich nie stattgefunden hat.

Andrei Siclodi

 

Details zur Ausstellung:
Eröffnung am Donnerstag 18. Mai 2017 um 19.30
Begrüßung: Lizzy Fidler, Vorstandsmitglied
Einführung: Andrei Siclodi, Kurator
Dauer der Ausstellung: 19. Mai – 29. Juli 2017
Dialogführungen auf Anfrage.

 

Veranstaltungen am Eröffnungswochenende:

· Führung durch die Ausstellung
mit dem Kurator Andrei Siclodi und den beteiligten Künstler_innen
Freitag 19. 05. 2017, 18.00
KUNSTPAVILLON, Rennweg 8a, 6020 Innsbruck

· Dreizehn Regeln oder Die Schwierigkeit sich auszudrücken + Gespräche mit Schülern und Lehrern
Filme von Stefan Hayn und anschließendes Gespräch mit Clemens Krümmel (Kunsthistoriker, Berlin)
Freitag 19. 05. 2017, 19.30
KUNSTPAVILLON, Rennweg 8a, 6020 Innsbruck

· Performance-Abend
mit Nathan Gray · Olive Michel & Fred Hystère · Kerstin Schroedinger
Samstag 20. 05. 2017, ab 17.00
KÜNSTLERHAUS BÜCHSENHAUSEN, Weiherburggasse 13, 6020 Innsbruck

weitere Veranstaltungen:

· Exhibitions of Influence: Display and Film as Political Medium
Symposium mit Anna Ladinig (Slawistin, Innsbruck), Susan Reid (Kulturwissenschaftlerin, Loughborough), Oksana Sarkisova (Kulturwissenschaftlerin, Budapest), Vladislav Shapovalov (Künstler, Innsbruck)
Initiiert von Vladislav Shapovalov
Dienstag 30. Mai 2017, 19.00
KUNSTPAVILLON, Rennweg 8a, 6020 Innsbruck

·· Crip Magazine Convention:
· Crip Magazine Nr. 2 – Präsentation
Mit Eva Egermann & Guests
Lesung: Philmarie Theatdaggres
Screening: HYPER HYPER ICH Id, Iris Borovčnik
Freitag 2. Juni 2017, 18.00
KUNSTPAVILLON, Rennweg 8a, 6020 Innsbruck
· Zur visuellen Kultur von Crip Subjekten
Paneldiskussionen
Samstag 3. Juni 2017, 13.00-18.30
KUNSTPAVILLON, Rennweg 8a, 6020 Innsbruck

· Life Expectancies: The Body between Exposure and Development
Filme von Sandra Lahire und
Diskussion mit Elsa Richardson (Medizin- und Kulturhistorikerin, Glasgow)
Initiiert von Kerstin Schroedinger
Dienstag 13. Juni 2017, 19.30
KUNSTPAVILLON, Rennweg 8a, 6020 Innsbruck

· NEVER EVER CLEVER – Überlegungen zum Kinderfilm
Vortrag von Stefan Hayn und
Diskussion mit Irene Berkel (Religions- und Kulturwissenschaftlerin)
Dienstag 20. Juni 2017, 19.00
KUNSTPAVILLON, Rennweg 8a, 6020 Innsbruck

 

Eva Egermann (*1979 in Wien, Österreich, aufgewachsen im Burgenland) ist Künstlerin und lebt in Wien. Sie arbeitete in unterschiedlichsten Medien und Kollaborationen (wie z.B. der Manoa Free University). Neben zahlreichen künstlerischen Projekten sind Publikationen (z.B. Regime. Wie Dominanz organisiert und Ausdruck formalisiert wird oder Class Works) und kuratorische Projekte (z.B. 2 or 3 Things we’ve learned. Intersections of Art, Pedagogy and Protest oder On Uncanny States and Bodies) entstanden. Sie war Teil der Forschungsgruppe von Model House. Mapping Transcultural Modernisms, Visiting Researcher an der U.C. Berkeley im WS 2014/15 und ist Dissertantin im PhD-in-Practice-Programm an der Akademie der Bildenden Künste Wien. Ihre Arbeit wurde mit dem Theodor Körner Preis 2015 für Wissenschaft und Kunst und einer Anerkennung im Rahmen des Outstanding Artist Award 2016 in der Kategorie Interdisziplinarität ausgezeichnet.

Stefan Hayn lebt in Berlin. Seine seit 1989 veröffentlichten Filme hinterfragen künstlerische sowie filmische Kategorisierungen und verweigern sich einfachen Genrezuschreibungen. Seine Arbeiten (Filme, Malerei, Essays) wurden in unterschiedlichen Kunst- und Filmkontexten präsentiert. Er lehrte an der Universität der Künste Berlin schwerpunktmäßig zum Verhältnis von Film und Malerei.

Stefan Hayn ist Maler und Filmemacher. In seinen jüngeren Arbeiten versucht er, filmimmanent bzw. in Gegenüberstellungen im Ausstellungsraum malerische und filmische Wahrnehmungsprozesse in ihrer gesellschaftlich-historischen wie lebensgeschichtlich-individuellen Anbindung emotional erfahrbar zu machen. Die ins Offene angelegten bildnerischen Vorgehensweisen reflektiert er auch in begrifflich-essayistischen Arbeiten. Er präsentiert seine Filme im Kino, im Fernsehen und auf internationalen Festivals. Zuletzt zeigten der Heidelberger Kunstverein und das Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien eine Auswahl seiner malerischen und filmischen Arbeiten.

Zur Filmografie von Stefan Hayn siehe auch:
filmportal.de: Stefan Hayn

Kerstin Schroedinger arbeitet in den Bereichen Video, Sound und Performance. Ihre historiographische Praxis befragt die Mittel der Bildproduktion, historische Kontinuitäten und ideologische Darstellungen der Repräsentation. Ihre Arbeiten und kuratorische Praxis sind meist kollaborativ. Zu ihren jüngsten Arbeiten gehören Der angebliche Körper (Performance), aufgeführt beim Images Festival Toronto und bei Les Complices * Zürich 2017, Fugue (Film, 2015) sowie Rainbow’s Gravity (Video, 2014) und Red, She Said (Video, 2011) beide in Zusammenarbeit mit Mareike Bernien. Ihre Arbeit wurde unter anderem im Whitney Museum of American Art, Anthology Film Archives New York, Forum Expanded der Berlinale, Kurzfilmfestival Oberhausen, Internationales Filmfestival Toronto, Gasworks London, Arnolfini Bristol, Whitechapel Gallery London gezeigt, Ausstellungen unter anderem im MIT List Visual Arts Center Boston (2016), PhotoCairo #6 (2017), FMAC Mediathèque Genf (2016), Die Schule von Kiew – 2. Kiew Biennale 2015, Helmhaus Zürich (2015), Kunstpavillion Innsbruck (2017).

Vladislav Shapovalov (*1981, Rostow-am-Don, Russland) ist Künstler und Forscher, der in Mailand und Moskau lebt und arbeitet. Er war Mitglied der Künstler_innengruppe Radek Community (1999-2007). Seit 2008 hat er als Einzelkünstler an Projekten gearbeitet, die sich vor allem mit der Neubewertung von Bildern, kulturellen Artefakten und der Konstruktion von Narrativen beschäftigt, die dazu dienen, geopolitische Konfigurationen zu konstruieren und zu analysieren.

Zu seinen jüngsten Ausstellungen gehören Atlas [of the ruins] of Europe, kuratiert von Julia Morandeira Arrizabalaga und José Riello, CentroCentro, Madrid, 2016; Fear. The Origin of the State, kuratiert von Fedor Blašák und Christian Kobald, Nová synagóga / Kunsthalle Žilina, Slowakei, 2015; The School of Kyiv, Biennale von Kiew, kuratiert von Hedwig Saxenhuber und Georg Schollhammer, Kiew, 2015; Sources Go Dark, kuratiert von Valerio Borgonuovo und Silvia Franceschini, Futura Center for Contemporary Art, Prag, 2015.

vladislavshapovalov.com

 

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