Felden_kreis FI_001
Carola Dertnig
Felden_kreis FI_001
Für die Ausstellung Felden_kreis FI_001 entwickelt Carola Dertnig ausgehend von einem privaten Feldenkrais-Archiv, in dem Bewegungen in Sprache übertragen wurden, eine Rückübersetzung in Bewegungen und Biegungen. Sie schafft im Kunstpavillon ein performatives Setting, das Bewegungsmustern nachgeht und sie im Lichte der Kunst- und Performancegeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts reflektiert. Carola Dertnig richtet sich ein Experimentierfeld zwischen Avantgarde und Heimwerker_innenmarkt ein, zwischen Bauhaus und Bauhaus eben, das sie so lustvoll wie gründlich besetzt und bearbeitet.
Die Feldenkrais-Methode untersucht die Logik der Bewegungen aus unterschiedlichen Perspektiven. Moshé Feldenkrais war ein leidenschaftlicher Forscher. Als Ingenieur, Physiker und Judo-Meister untersuchte er nach einer Knieverletzung systematisch das Lernen am eigenen Körper[1] „Awareness through Movement“, also Bewusstheit durch Bewegung, werden in der Feldenkrais-Methode die Gruppenstunden genannt. Der „funktionalen Integration“ dient der Einzelunterricht, in dem Bewegungs- und Verhaltensmuster erforscht werden. Dass es in Carola Dertnigs Solopräsentation im Kunstpavillon um Bewegung und um das Verhältnis von Objekt, Raum und Mensch geht, wird beim Betreten der Galerie in Anbetracht der im vorderen Bereich platzierten Gegenstände schnell deutlich: ein großes Balance Board[2], eine dynamisch wirkende Skulptur aus weißen und schwarzen, ineinander verschlungenen Metallverbundrohren und ein hybrides Kleinmöbel, das zwischen Hocker und Trittleiter angesiedelt ist. Sie spricht von dem Objekt CD_KMH, 2017, als „ready made appropriation restauration“. Der Haushalt-Klapphocker „Karl Marx“, war einst ein Inbegriff funktionalen DDR-Designs. Statt mit abwaschbarem Kunstleder, wie ursprünglich, hat ihn Carola Dertnig nun mit Velours überzogen, das sie zuvor mit den ineinander greifenden Initialen „CD“ hatte bedrucken lassen. Assoziationen mit diversen Luxuslabels sind nicht unbeabsichtigt. Der gefundene und revitalisierte Klapphocker hat mit der Beschäftigung von Carola Dertnig mit mobilen Kleinbühnen zu tun. Bereits in früheren Performances setzte sie Redner_innentribünen ein, die sie einem Entwurf des russischen Konstruktivisten Alexander Rodtschenko aus den 1920er Jahren für einen Arbeiterclub nachempfunden hatte.[3] Im Gegensatz zur Kleinsttribüne CD_KMH, ist die Bühnenskulptur im hinteren Bereich des Kunstpavillons raumfüllend und wird von einem 4,5 Meter breitem Stage Drop hinterfangen. Die mittels Fototransferdruck und Zeichnung auf Leinwand aufgebrachten Tanznotationen nehmen sowohl Bezug auf die US-amerikanische Tänzerin, Choreografin und Performancekünstlerin Trisha Brown als auch auf die Entwicklungen des zeitgenössischen Tanzes in den 1920er und 30er Jahren und übersetzen diese Aufzeichnungen in eigene Bewegungen. Das Bühnenbild Felden_kreis_AM zeigt aus der Bewegung entstehende Bewegungszeichnungen. Dass auch die schwarzweißen Rohrskulpturen, die die Stage bevölkern, Bewegungsstudien sind, lässt die Fotoserie Felden_kreis FI_001_010 erahnen. Carola Dertnig performt im Heimwerker_innenmarkt mit Metallverbundrohren und nimmt sich selbst dabei auf. Als gerahmte Fine Art Prints bringt sie die BAUHAUS-Aktion wieder näher an das Bauhaus, wo in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts mit der Einführung des Stahlrohrs in den Möbelbau Designgeschichte geschrieben wurde. Es ist also kein Zufall, wenn man sich angesichts der handgebogenen Skulpturen Felden_kreis_AM an Freischwinger erinnert fühlt.
Im Seitenflügel zeigt Carola Dertnig das Performance-Video … an exile …[4], 2013/2014 in Tiflis, Georgien, aufgenommen und 2017 erstmals präsentiert. Die Künstlerin steigt eine Treppenanlage in der Altstadt hinab. Sie trägt einen, grob gestrickten Mantel, der sich auflöst und eine Spur ihres Weges nachzeichnet. Wie eine Demarkationslinie spannt sich der rote Faden über die gewundene Treppe und die Menschen, denen sie begegnet, reagieren auf unterschiedliche Weise darauf: Frauen versuchen die Performerin verhalten auf ihr „Missgeschick“ hinzuweisen, Männer tun so, als wäre der Faden nicht da, müssen dann aber dennoch darüber steigen. Am Fuß der Treppe angekommen weitet sich ein Platz, der zu einer postmodernen Brücke hin ausgerichtet ist. Der Platz scheint ein Treffpunkt für – vornehmlich junge – Menschen zu sein, die offensiver mit der Situation umgehen und sogar mit dem Faden zu spielen beginnen, nachdem sich die Performerin des nur mehr aus dem Schulterstück bestehenden Kleidungsstücks entledigt hat und über die Brücke entschwindet. Während der Überquerung des Platzes wird aus dem Off eine Textpassage eingesprochen. Es handelt sich um Samples aus dem Aufsatz Shadow Cities von André Aciman[5]:
What is an exile? An exile reads memory, an exile reads love, an exile reads fear, an exile reads beauty, an exile reads food and drinks, an exile reads change the way one reads time. An exile is not just someone who has forgotten his or her home, an exile is someone who cannot find another, who cannot think of another home, someone who does not longer know what home means. An exile is someone who reinvents the concept of love with what is left. What does it mean to be an exile? When does it go away? How does it reinvent one? Does it ever go away? An exile reads change the way one reads time. An exile reads change the way one reads time, to reinvent the concept of love.
Bereits vor vier Jahren war es virulent über gesellschaftliche Ein-und Ausschlussmechanismen, über kulturelle Unterschiede und die Dominanz der westlichen Welt nachzudenken. In der Zwischenzeit – eine Fluchtkatastrophe später, die aufgrund der oft von nationalistischen Populist_innen geschürten Angst vor dem Fremden eine gespaltene
Gesellschaft in Mitteleuropa zur Folge hat – erfährt das Video eine zusätzliche Aufladung. … an exile … macht deutlich, dass „Awareness through movement“ nicht nur eine körperbasierte Lernmethode zur Selbsterkenntnis nach Feldenkrais ist, sondern auch als performative Strategie bezeichnet werden kann.
Ingeborg Erhart
[1] https://www.feldenkrais.at/methode/wer-war-dr-moshe-feldenkrais, 21.11.2017
[2] Benutzung auf eigene Gefahr!
[3] http://caroladertnig.at/werke/tanzportraet-harald-kreutzberg-10-posen.html, 21.11.2017
[4] Cinematography und Editing Katharina Cibulka
[5] Erschienen in der von ihm herausgegebenen Anthologie Letters Of Transit, Reflections on Exile, Identity, Language, and Loss, New York, 1997