legerdemain
Susanne Bürner
Susanne Bürner
kuratiert von Ingeborg Erhart
In der 3-Kanal-Videoinstallation legerdemain spielten vier Personen mit. Eine Frau trat als Erste auf. Es folgten ein etwas älterer Mann mit schulterlangem, weißem Haar und zwei junge Männer, ein Asiate und ein südeuropäischer Typ. Aufgeteilt auf drei Projektionen schienen sie auf eine spezielle, stark von Gesten getragene Weise miteinander zu kommunizieren und sich gegenseitig Impulse zu geben. Nach einiger Zeit wurde klar, dass es sich bei den Protagonist_innen um Dirigent_innen handelte, die ohne Taktstock agierten. Susanne Bürner filmte sie bei der Arbeit, löste sie aus ihrem Kontext, indem sie sie von ihrem jeweiligen Klangkörper isolierte, und rückte sie in einen neuen Zusammenhang, in dem sie – scheinbar – aufeinander reagierten. Die Frau drehte sich im Halbkreis und gab reihum die Einsätze. Sie war Mistress of Ceremonies und moderierte das Geschehen. Die beiden jungen Männer lieferten sich ein Battle, lagen in einem Wettstreit untereinander, wohingegen der ältere Mann die Contenance bewahrte und in sich ruhte. Für die Soundebene griff Susanne Bürner auf eine Technik der Frühzeit des Films zurück und bat drei Musiker, zu den Bildern – vergleichbar mit Livevertonungen von Stummfilmen – zu improvisieren. Mit Cembalo, Klavier, Posaune und DJ-Effekten wie Scratching unterstrichen sie die vermeintlichen Charaktereigenschaften der Darsteller_innen.
Bei Besuchen der Berliner Philharmonie und anderer Konzerthäuser beobachtete Susanne Bürner die Szenerie, war fasziniert von der Rolle der/des Dirigierenden und davon, dass durch kleinste Bewegungen große Reaktionen erzeugt werden können. Den stark mit Macht konnotierten Beruf gibt es erst seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, bald danach entwickelten sich verschiedene Typen: „die Selbstinszenierer, die Magier, die Exzentriker, die Humanisten, die Skrupulösen“ 1. Wohl waren die Rollen inspiriert von den zur jeweiligen Zeit herrschenden Idealen von Kreativität, Macht, Männlichkeit und Führungsstil, die Debatte um das Erscheinungsbild jedoch war in der Rezeption von Dirigenten von Beginn an allgegenwärtig.2
Inzwischen hat sich zumindest in Bezug auf das Machtgefälle zwischen Dirigent_innen und Musiker_innen einiges verändert und es gibt kaum noch die absoluten Herrscher der alten Schule. Nach wie vor geht es aber natürlich darum, wie der/die Orchester- oder Chorleiter_in auf die Musiker_innen (ein-) wirkt. Da dies mit Mitteln der Körpersprache passiert, hat das Dirigieren immer etwas sehr Expressives an sich. Oder gibt es darüber hinaus auch mentale Verbindungen? „Der Dirigent soll sein Bewusstsein in das kollektive Unbewusste der Musiker transportieren.“3
Wie das passieren könnte, ließ Susanne Bürner in legerdemain offen. Der Titel der Arbeit gab jedoch einen Hinweis darauf, dass die Künstlerin Übernatürliches in
Betracht ziehen könnte. „Legerdemain“ ist ein – zumindest im US-amerikanischen – selten gebrauchter englischer Begriff, der aus dem Französischen stammt und die Wörter „leicht“ (léger) und „Hand“ (la main) in sich trägt und ein Synonym für Zauberei ist. It’s magic! 4
In der gleichnamigen Soloschau von Susanne Bürner in der Neuen Galerie der Tiroler Künstler*schaft waren zwei weitere Arbeiten zu sehen, die im Zusammenhang mit der Beschäftigung mit dem Thema des Dirigierens entstanden sind. Leuchtend farbige, an Fahnen oder auch Zaubertücher erinnernde, auf dünne Seide gedruckte Fotografien zeigten jeweils zwei isolierte, grafisch freigestellte Hände, die aufeinander Bezug nahmen. Das Dirigieren ohne Taktstock ermöglicht, so die Künstlerin, dass beide Hände gleichberechtigt sind. Bereits in dem Schaukasten vor dem Eingang zur Galerie befand sich eine Collage aus Exemplaren einer Print Edition auf Zeitungspapier, die anlässlich eines Screenings mit Artist Talk bei Printed Matter Inc. im Juli 2015 in New York bei Boabooks erschienen ist und bei der es ebenfalls darum ging, dass die freigestellten Hände interagieren.
Neben den neuesten Arbeiten zeigte Susanne Bürner die Fotoserie Vampyr aus dem Jahr 2007. Wie in dem 3-Kanal-Video legerdemain und in der Rauminstallation spielten auch hier Vorhänge als dramaturgisches Element eine wichtige Rolle – Vorhänge, vor denen im Gegenlicht Menschen in einer Art Prozession vorbeigehen. Aufgenommen wurden die Bilder 2007 bei der documenta 12 in Kassel, als die Kurator_innen Roger Buergel und Ruth Noack u. a. das Leitmotiv „Ist die Moderne unsere Antike?“ ausriefen und neben zeitgenössischer auch historische Kunst zeigten. Aus konservatorischen Gründen musste der Raum in Zwielicht getaucht werden und die Rezipient_innen schritten im „Modus der Kunstbetrachtung“ einher. Dieses „Getrieben-Sein“ führte ebenso zur Wahl des Titels der Serie wie die Begeisterung für die Stilmittel schemenhafter Figuren in hinterleuchteten Fenstern und eine starke Betonung von Schatten, die für den 1932 entstandenen Film Vampyr eingesetzt wurden. Die Arbeit ist als Hommage an den ersten Tonfilm des dänischen Regisseurs Carl Theodor Dreyer zu sehen, der mit seiner überzeichneten Körperlichkeit, den sparsamen Dialogen und den Textzwischenblenden noch stark dem Stummfilmgenre verhaftet ist.
Susanne Bürner beschäftigt sich seit langem mit den Themen Abwesenheit und Verschwinden, mit zentralen Fragen nach (subjektiver) Wahrnehmung und visueller Darstellbarkeit. Die neuesten Arbeiten und die Ausstellung erzählten von physischer Mediation und mystischen Schatten, die aufgrund der Ausblendung oder einer Verschiebung des Kontextes ins Leere liefen. Sie handelten von Repräsentationsformen des Unsichtbaren in physischen und psychischen Räumen und spielten mit deren emotionalen Dimensionen.
1 Wolfgang Hattinger, Der Dirigent – Mythos, Macht, Merkwürdigkeiten, (www.br.de/radio/br-klassik/sendungen/leporello/buchtipp-der-dirigent-hattinger100.html, 04.11.2015.
2 Vgl. Holly Mathieson, Embodying Music: The Visuality of Three Iconic Conductors in London, 1840-1940, Abstract, ii f, 04.11.2015.
3 Hattinger, ebd.
4 Anm. IE: Antwort von Marina Vishmidt, in London lebende Stipendiatin des Internationalen Fellowship-Programms im Künstlerhaus Büchsenhausen 2015-16, auf die Frage, ob sie den Begriff „legerdemain“ kenne.