SIDESHOW BOB

Georg Petermichl

Sideshow Bob zählt zu den bekanntesten und intelligentesten Nebencharakteren der US-amerikanischen Zeichentrickserie Die Simpsons. Sein Wesen zeichnet sich vor allem durch das Bestreben aus, die Rolle eines Nebendarstellers hinter sich zu lassen und selbst im Mittelpunkt zu stehen. (Sideshow Bob fungierte ursprünglich als Co-Moderator der Krusty the Clown Show. Durch Unaufrichtigkeiten und Intrigen versuchte er, den Clown zu stürzen. Er wurde jedoch von Bart Simpson gestellt. Seitdem trachtet Sideshow Bob vergebens Bart nach dem Leben.)

Vor allem sein Trachten nach Anerkennung und die Tatsache, dass Nebencharaktere eine Serie bzw. die darin vorkommenden Hauptfiguren erst richtig greifbar und interessant machen, haben Georg Petermichl dazu bewogen, seine Ausstellung SIDESHOW BOB zu benennen. In Hinblick auf den zeitgenössischen Kunstbetrieb sind es Nebenfiguren wie Ausstellungsfotograf_innen, kuratorische bzw. künstlerische Assistent_innen und Aufbauhilfen, die maßgeblich zur Enderscheinung einer künstlerischen Arbeit beitragen.

Als Künstler, der sich ein zweites Standbein in der angewandten Fotografie im Ausstellungs- und Reprobereich aufgebaut hat, ist Georg Petermichl diese Position sehr vertraut. Sie diente als Ausgangspunkt dieser Ausstellung. Angewandte Fotografie widmet sich im Allgemeinen der fotografischen Darstellung von Gemälden, Kunstobjekten, Skulpturen oder Künstler_innen bei der Arbeit und wird vornehmlich für dokumentarische Zwecke eingesetzt. Bei dieser Tätigkeit nehmen die Fotograf_innen eine essenzielle Rolle ein: Ihre Arbeit schafft die visuelle Grundlage für die kunsthistorische Rezeption und ermöglicht die weltweite digitale Verbreitung via Internet. Allen, die ein Kunstwerk nicht im Original betrachten können, bleibt ausschließlich die Perspektive der Fotograf_innen. Ihr individueller Blickwinkel ist es, der die Beschaffenheit des Werks bzw. die Architektur des Raumes festlegt. In SIDESHOW BOB definierte Georg Petermichl die fotografische Hauptachse der Neuen Galerie mit farbenprächtigen und wandfüllenden Arbeiten, die auf den ersten Blick wie moderne Wandmalereien wirkten. Erst bei näherer Betrachtung ließ die Beschaffenheit der Oberfläche auf die eigentliche Materialität der Werke schließen: Tatsächlich handelte es sich um kalandrierte (flachgewalzte) und im Anschluss daran laminierte PVC-Folien. Das eingefärbte Formenvokabular der raumgreifenden Wandinstallationen im ersten und dritten Raum ermöglichte den Besucher_innen eine sinnliche Wahrnehmung der Herangehensweise eines Fotografen bzw. einer Fotografin, um „Mängel“ von abzubildenden Räumlichkeiten wie etwa eine schlechte Beleuchtung oder inkorrekte Farbtendenzen digital zu kompensieren. So haben die Quelle des Lichtes, aber auch alle umgebenden Flächen Einfluss auf die Farbigkeit einer Oberfläche.

Licht wird absorbiert bzw. reflektiert, was zu Einfärbungen der Wand führt.

Die Komposition von Farbe, Form, Verlauf und Linie der geometrischen Wandabstraktionen in der Neuen Galerie entstand durch das Zusammenfügen von Alphakanal-Masken, die der Künstler bei früheren Bildbearbeitungen im Computerprogramm Photoshop erstellt hatte. Die nüchterne Farbgebung des ersten Raumes mit ihren unterschiedlichen Grauschattierungen stand dabei den pastelligen bis poppigen Farbmasken des hinteren Raumes, die von rosa, blauen und grünen Tönen dominiert wurden, gegenüber. Im mittleren Raum spielte Georg Petermichl mit dem oben beschriebenen Prozess der Absorption bzw. Reflexion von Licht: Er dokumentierte durch das vorherige Abfotografieren der mit Folien verkleideten Wände die im Raum vorhandenen Farbstiche. Durch die Intensivierung dieser Kolorierungen entstanden imposante Farbspiele, die an impressionistische Gemälde der Pleinairmalerei (Freilichtmalerei) , wie sie uns von Malern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wie Claude Monet vertraut sind, erinnerten. Der Künstler verzichtete hier bewusst auf die Abdunkelung des Raumes. Die Lichtfarbe des künstlichen Lichts traf dadurch direkt auf die natürlichen und von außen hereintreffenden Lichtstrahlen. Die Architektur der Neuen Galerie wurde durch diese raum-über- bzw. raumergreifende Installation aus den empirischen Blickwinkeln eines Ausstellungsfotografen bzw. einer Ausstellungsfotografin erfasst.

Die Wandarbeiten erfüllten darüber hinaus einen weiteren Zweck: Sie dienten Georg Petermichl zudem als Hintergrund bzw. Präsentationsfläche seiner klassisch zusammengestellten Fotoarbeiten, die als Ausstellung in der Ausstellung funktionierten. Viele der gezeigten Exponate knüpften im weitesten Sinne an die Appropriation* (*Diese Kunstgattung trat verstärkt in den 1980er Jahren durch Künstler_innen wie Richard Prince, Barbara Kruger oder Cindy Shermann in Erscheinung. Durch das Verfahren der „Aneignung“ wurden essenzielle Kategorien der bildenden Kunst wie Autor_innenschaft, Museumsraum, Originalität und Kreativität thematisiert und infrage gestellt. In weiterer Folge wurden vorhandene Bilder aus ihren ursprünglichen Kontexten (Werbung / Medien) herausgelöst und ihre Bedeutung neu kodiert. Vgl. Isabelle Graw: Die bessere Hälfte – Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts, Dumont Kunstverlag, Köln 2003.) an. Über die Form der Aneignung untersuchte der Künstler die divergierenden Pole von Amateur- und Profifotografie: Dabei zeigten sich Nuancen des persönlichen Ausdrucks nicht nur in Familienporträts und Urlaubsfotos, sondern auch in den Feldern der Akt- und Reprofotografie. Georg Petermichls Appropriationen waren dabei sowohl als kritische Auseinandersetzung im Sinne einer Kompromittierung als auch als Ausdruck besonderer Wertschätzung zu lesen.

So schenkte der Künstler den Sonnenaufgängen, die er in den Fotoalben seiner Eltern entdeckt und daraus abfotografiert hatte, Hochachtung und großen Respekt. Die ursprünglich für den privaten Gebrauch gedachten Fotos wurden in den öffentlichen Raum „exportiert“ und verliehen dieser Ausstellung einen sehr persönlichen und intimen Charakter. Die Bildkompositionen der im Urlaub eingefangenen Momente wirkten auf den Künstler mit ihrem Zusammenspiel von bewusst Konstruiertem und Zufall in uneingeschränktem Maße vollkommen. Diesen Stimmungsbildern stellte Georg Petermichl seinen eigenen Sonnenuntergang zur Seite. Fünf Aufnahmen dieses Unterfangens, die den Titel Good Night (Washington, D.C.) tragen, standen nun in der Neuen Galerie zur Auswahl: Die Entscheidung, welches der Fotos „den (subjektiv empfundenen) perfekten Moment“ darstellte, oblag den Besucher_innen. Auf einer weiteren Wand waren zwei Aktfotos zu sehen. Ein Mann und eine Frau lagen nackt, eingebettet in eine mäßig attraktiv wirkende Landschaft, auf den Motorhauben von mäßig ansprechenden Fahrzeugen der Mittelklasse.

Die Aktbilder stellten einen weiteren Versuch von Georg Petermichl dar, sich der „Laienfotografie“ zu nähern. Dieses Mal offenbarte sich das approbierende Verfahren als Auseinandersetzung mit den oft idealisierten und manierierten Darstellungen in der Amateurfotografie und den Grenzen ihrer Ressourcen.

In einem starken Kontrast dazu stand die Schwarz-weiß-Foto-serie, auf der Vasen abgelichtet waren. Im ersten Moment wirkten die Abbildungen wie Auszüge aus einem Katalog für archäologische Funde. Tatsächlich handelte es sich dabei aber um vom Künstler angefertigte „Nachbildungen“ antiker Behältnisse aus Griechenland und Marokko. Durch den Abdruck eines Schlüsselbundes wurden sie als zeitgenössische Reproduktionen markiert und wirkten, als wären sie von der heutigen Welt in Beschlag genommen worden.

Abschließend korrespondierte die Arbeit Universal Thoughts (Brighton) mit der Architektur der Neuen Galerie. In ihr fand die Raumflucht eine optische Weiterführung.

SIDESHOW BOB von Georg Petermichl in der Neuen Galerie erzeugte einerseits einen Déjà-vu-Effekt, andererseits stellte die Schau die Besucher_innen vor die Herausforderung, in die Rolle des Ausstellungsfotografen zu schlüpfen und dadurch seine Welt kennenzulernen. Das Gefühl entstand, von Bildern umgeben zu sein, die Alltägliches und Bekanntes suggerieren und deren Vokabular uns vertraut ist. Erst bei genauerer Betrachtung wurden die feinen Unterschiede zu uns gewohnten Darstellungen sichtbar. Im Mittelpunkt standen das Aufspüren und Festhalten von Momenten alltäglicher Wahrnehmung. Appropriation wurde vom Künstler als Strategie eingesetzt, die sich gegen die Idee eines Kunstwerks als einmaliger Ausdruck eines autonomen Subjekts richtete und stattdessen Kunst als gesellschaftlich,historisch und kulturell bedingt betrachtete.

Ausstellungsbooklet