PANELDISKUSSION Erinnerungskultur aufarbeiten?
mit
Wolfgang Brauneis, Direktor des Kunstverein Nürnberg – Albrecht Dürer Gesellschaft
Heidi Schatzl, Künstlerin und Forscherin, Wien
Bettina Siegele, Geschäftsleiterin und Kuratorin der Tiroler Künstler*innenschaft (Kunstpavillon, Neue Galerie, Interessenvertretung)
u.a.
Moderation: Benedikt Sauer (Journalist, Sachbuchautor)
Konzeption: Andrei Siclodi, Redakteur des Bereichs „Visuelle Künste“ im Michael-Gaismair-Jahrbuch und Leiter des Künstler*innenhauses Büchsenhausen / Tiroler Künstler*innenschaft
Veranstalter:innen:
Michael-Gaismair-Gesellschaft,
Tiroler Künstler*innenschaft,
erinnern:at
Die Michael-Gaismair-Gesellschaft, die Tiroler Künstler*innenschaft und erinnern:at luden am 15 Juni 2023 zur Paneldiskussion zum Thema Erinnerungskultur aufarbeiten? Perspektiven auf aktuelle Tendenzen im Umgang mit NS-Vergangenheit in Kunst und Kultur in Tirol und darüber hinaus im Stadtteiltreff Wilten ein.
Die Diskussionsteilnehmer*innen sind Fachpersonen, die sich mit der Thematik künstlerisch und/oder institutionell auseinandergesetzt haben.
Anlass der Auseinandersetzung ist eine Reihe disparater Ereignisse in der Kunst und Kulturszene in Tirol seit März 2022, deren gemeinsamer Nenner ein lavierender Umgang mit dem Erbe des Nationalsozialismus ist. Die verharmlosende Darstellung des Ko-Namensgebers Hans Klocker (illegales NSDAP-Mitglied ab 1933 und Richter in der NS-Zeit) im frisch eröffneten Klocker Museum in Hall in Tirol; der Umgang des Landes Tirol mit dem Kunst-am-Bau-Wettbewerb am Landhaus (kein Projekt wird realisiert), die Ernst-Nepo-Ausstellung im Kesselhaus und deren mediale Darstellung, schließlich die Diskussion um das Gauder-Fest-Sujet der Künstlerin Susanne Liner in diversen Onlinemedien sowie auf Social Media, sind merk-würdige „Fälle“, die einer Diskussion bedürfen.
All diese „Fälle“ eint auch die Überzeugung, dass immer „richtig“ gehandelt werde. Doch was bedeutet richtiges Handeln vor diesem Hintergrund? Warum fällt es heute noch schwer, sich von der NS-Vergangenheit unmissverständlich zu distanzieren? Gemeinsam mit den geladenen Panelgäst*innen wollen wir über Fragen der Erinnerungskultur im Kunst- und Kulturbetrieb diskutieren. Die angeführten Beispiele deuten auf eine sinkende Aufmerksamkeit und Bereitschaft im Kunst- und Kulturbetrieb wider, die (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit offenbar sozialisationsbedingt über die Jahrzehnte hindurch sich reproduzierende Denkmuster aus der NS-Zeit zu führen – eine alarmierende Tendenz angesichts des gegenwärtigen Wiedererstarkens rechter Ideologien und deren zunehmender Normalisierung als „politische Mitte“. Mit dieser Diskussionsveranstaltung erhoffen wir uns, Gegensteuerungsimpulse anzuregen und gemeinsam auf die Entwicklung einer selbstkritischen Erinnerungskultur hinzuarbeiten.
Wolfgang Brauneis lebt und arbeitet als Kunsthistoriker und Kurator in Köln und Nürnberg. 2021 hat er die Ausstellung Die Liste der „Gottbegnadeten“. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik im Deutschen Historischen Museum in Berlin kuratiert, im vergangenen Jahr die Ausstellung Weisen Sie das Geschenk zurück! Die Kontroverse um Die Frau Musica zu Hermann Kaspar in der Meistersingerhalle Nürnberg. Er ist Direktor des Kunstvereins Nürnberg – Albrecht Dürer Gesellschaft und untersucht im Rahmen eines Forschungs- und Ausstellungsprojektes dessen Geschichte im Nationalsozialismus und den Nachkriegsjahrzehnten.
Heidi Schatzl ist seit 2005 an der Schnittstelle Raum, Kunst, Forschung tätig und lebt in Wien. Sie unternimmt künstlerische Feldforschungen zur Architektur der Moderne, wobei narrative Versatzstücke eine Schlüsselposition im Forschungs- und Ausstellungsinteresse einnehmen. Ausstellungsbeteiligungen mit der Feldforschung Vom Leben in den Hitlerbauten in der Landesgalerie Linz (2009), beim Festival der Regionen (2009), im Nordico Linz (2012) und mit The Protest of Linz 1945, 2015 im Schlossmuseum Linz (2015/16). 2019 ist die auf der Autobiographie von Ernst F. Brod basierende Ausstellung als „Erinnerungsspeicher“ und Gedächtnis von Erlauf vom Gemeindeamt dauerhaft übernommen worden. Brods Anteil am Aufbau der Moderne und sein Überleben in der Türkei wurde 2022 im Erinnerungsspeicher Anı Deposu in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Kulturforum im Jüdischen Museum in Istanbul rekonstruiert. Die aktuelle Recherche zu „Nachbauten“ der Wiener Moderne in Haifa (BMKÖS-Auslandsatelier Tel Aviv 2019 und Aufenthalte in Jerusalem 2021-23) basieren auf der 2017 durchgeführten Archivforschung zur im Nationalsozialismus entzogenen Moderne Adolf Loos’ und den Architekturen der aus Wien geflüchteten Architekten in Haifa. Ein Beginn dieses Ausstellungszyklus wurde mit der Ausstellung Loos is Moller, in der Architect’s House Gallery, Tel Aviv-Jaffa (IL) 2022/23 gesetzt.
Bettina Siegele ist Architekturtheoretikerin, Kunsthistorikerin und seit Oktober 2022 Geschäftsleiterin und Kuratorin der Tiroler Künstler*innenschaft (Kunstpavillon, Neue Galerie, Interessenvertretung). In den vergangenen Monaten hat sie sich, gemeinsam mit dem Vorstand des Vereins, aus kulturpolitischer Sicht und Interessenvertretung intensiv mit den aktuellen Entwicklungen im Bereich der Erinnerungskultur in der Kunst- und Kulturszene Tirols und darüber hinaus auseinandergesetzt.